Unter einem sogenannten Beischlag ist eigentlich eine erhöhte Terrasse mit Brüstung und Freitreppe zu verstehen, die die Frontbreite eines Hauses an der Straßenseite einnimmt. Insbesondere war der Beischlag im Nord- und Ostseeraum verbreitet, wo er den Eingang und das Erdgeschoss des Hauses vor Überschwemmungen schützen sollte. Beischlagwangen, schmal aufragende Platten aus Stein oder Bronze, wurden oftmals als Schmuckelemente neben dem Eingang des Beischlages platziert. Sie flankierten meist dahinter angebrachte Sitzbänke und dienten den Hausbewohnern somit auch als Sichtschutz vor dem öffentlichen Straßenbetrieb.
Zwei reich verzierte bronzene Beischlagwangen schließen auch die beiden Bänke, die sich beidseitig des Rathausportals befinden, jeweils nach außen hin ab. Beide Wangen sind nach oben hin durch ein schmales Gesims abgeschlossen, welches zur vorderen Stirnseite hin mit einem kleinen bärtigen Kopf versehen ist. Auf ihren Bildseiten zeigen sie jeweils das Relief eines spitzbogigen Baldachins. Auf der linken Wange ist unter diesem Baldachin das Bildnis eines thronenden Kaisers zu sehen, der mit den Reichsinsignien Krone, Zepter und Reichsapfel ausgestattet ist. Da die Wange aufgrund einer Schriftquelle auf das Jahr 1452 zu datieren ist, wurde hier vermutlich der im März dieses Jahres zum Kaiser gewählte Friedrich III. dargestellt. Auf der rechten Wange ist dagegen ein sogenannter Wilder Mann wiedergegeben. Dabei handelt es sich um ein im 15. und 16. Jh. verbreitetes Motiv, welches einen nackten, behaarten Mann zeigte, der eine Keule und oftmals einen Laubkranz trug. Die Wilden Männer symbolisierten den aus der Natur gewonnenen Reichtum und wurden daher gerne auf Wappen oder Münzen dargestellt. Der Wilde Mann der Lübecker Beischlagwange trägt ein großes Schild mit dem doppelköpfigen Reichsadler und sollte damit wohl ebenso wie das Kaiserbildnis auf die Reichsfreiheit der Stadt Lübeck verweisen. Die Reichsfreiheit wurde der Stadt 1226 durch Kaiser Friedrich II. gewährt. Sie bedeutete die Reichsunmittelbarkeit, unterstellte Lübeck also direkt dem Kaiser, und beinhaltete zahlreiche dauerhaft bestehende Rechte und Gebietsansprüche.
Hartmut Boockmann, Die Stadt im späten Mittelalter, 3. Aufl., München 1994.