(* 1862 Berlin, † 1919 Berlin)
Zwischen Hauptbahnhof und Lindenplatz steht das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. von Louis Tuaillon. Bereits am 31. März 1888 beschlossen der Senat und die Bürgerschaft der Hansestadt, dem kurz zuvor verstorbenen Monarchen ein Denkmal zu setzen, doch Streitigkeiten um die Art der Ausführung und den Aufstellungsort sowie der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und seine politischen Folgen führten immer wieder zu Verzögerungen. Ursprünglich sollte das Denkmal auf dem Rathausmarkt aufgestellt werden. Am 22. März 1897, zum 100. Geburtstag des Kaisers, wurde dort der Grundstein gelegt. 1912 erhielt Louis Tuaillon dann den Auftrag für ein Reiterstandbild. Das Gussmodell stand seit 1916 bereit, konnte aber nicht ausgeführt werden, da alle Metalle für Kriegszwecke gebraucht wurden. Erst 1921 konnte ein Abguss unter Aufsicht des Bildhauers August Gaul (1869-1921) gemacht werden; der Meister selbst war inzwischen verstorben. Aus dem Kaiserreich war inzwischen eine Republik geworden und das städtische Interesse an der Aufstellung eines Kaiserdenkmals erloschen. Der Privatmann Siegfried Buchenau rettete das Reiterstandbild vor der Einschmelzung und ließ es am 4. Juli 1922 auf seinem Gut Niendorf-Reecke aufstellen. Am 30. Mai 1934 übernahm die Hansestadt das Denkmal erneut und verbrachte es an seinen jetzigen Standort. Das Reiterstandbild ist damit das letzte offizielle Denkmal, das für Kaiser Wilhelm I. in Deutschland errichtet wurde.
Louis Tuaillon begann seine künstlerische Ausbildung 1879 an der Königlich Preußischen Akademie der Künste Berlin. 1882 fand er Aufnahme in das Meisteratelier von Reinhold Begas. Seine Tätigkeit dort unterbrach er 1883 für einen einjährigen Aufenthalt in Wien, wo er in der Werkstatt des Bildhauers Rudolf Weyr arbeitete. Anschließend kehrte er nach Berlin und in das Atelier von Begas zurück und war als dessen Schüler und Gehilfe tätig. 1885 übersiedelte Tuaillon nach Rom und geriet hier unter den Einfluss Hans von Marées und Adolf von Hildebrands. In den späten 1890er Jahren hielt sich Tuaillon wieder verstärkt in Deutschland auf, wo er auf Ausstellungen präsent war und zunehmende Anerkennung erfuhr. 1902 wurde der Mitglied der Berliner Secession, im Folgejahr kehrte er endgültig aus Rom zurück. Innerhalb kurzer Zeit avancierte er zum geschätzten Staatskünstler und erhielt zahlreiche staatliche Aufträge für Reiterstandbilder. Der Künstler wurde mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, 1919 starb er in Berlin. Louis Tuaillon gilt heute als ein Wegbereiter der Moderne in der Berliner Bildhauerschule.
Gert-Dieter Ulferts, Louis Tuaillon (1862-1919). Berliner Bildhauerei zwischen Tradition und Moderne (Bildhauer des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Peter Bloch), Berlin 1993.